Bang Kra Jao. Eine Fahrradtour in das unbekannte Bangkok. Niko, meine japanische Bekannte, bestand darauf, dass wir früh losfahren. Das Taxi spurtet durch den rückwärtigen Teil der Soi 22 und biegt in die Rama IV ein. Will sie mir den Freshmarket zeigen? Das Taxi fährt weiter, hält an einem kleinen Pier, das sich als Wat Khlong Toey Nok Pier zu erkennen gibt.
Wir steigen in ein enges Longtail, tuckern über den Chao Phraya zum anderen Ufer. Langsam ahne ich, welche Überraschung mir Niko bereiten möchte. Bisher fand ich nicht die Energie. Auf Google-Maps erscheint das Gebiet als dunkelgrüner Fleck. Vor 200 Jahren wanderten hier die Mon und besiedelten ein 5.000 Hektar großes Dschungelgebiet, eingezwängt zwischen einer Biegung des Chao Phraya. Am Anlegepier mieten wir für jeweils 100 Baht zwei Fahrräder. Für mehr als den zehnfachen Preis organisieren Fahrrad Tour Operators halbtägige Gruppenerlebnisse für adventurous Tourists, wie Niko gesteht.
Bang Kra Jao durchziehen kleine Dörfer, Tempel und Märkte
Von den wenigen Straßen zweigen schmale Betonpfade oder Holzwege in die dschungelartige Vegetation ab. Als ich Nikos schlängelnden Fahrstil bemerke, bereite ich mich darauf vor, in den moskitoverseuchten Kanal zu hechten, um sie heldenhaft vor den quakenden Fröschen zu retten. Mit erhöhtem Pulsschlag folgen wir dem magischen Schild Floating Market. Endlich, an einem Kanal erblicken wir ihn, den Traum aller Bildungsreisenden.
Ältere Frauen in kleinen Boten verkaufen sich Gemüse und Obst gegenseitig. Die Besucher kaufen die bunten Kokoseis-Spezialitäten und die fremdartigen Mon-Süßspeisen lieber trockenen Fußes in den kleinen Marktständen entlang des Kanals. Niko probiert alle Eisvariationen, ich teile mit ihr die klebrigen Süßspeisen. Frohgelaunt verlassen wir den schwimmenden Markt, und ich hoffe auf die Einsicht der fremdartigen Mon-Bakterien.
Die Sonne steht senkrecht, und ich verstehe, warum wir so früh losfahren mussten. Die betonierten Pfade verbergen die Richtung. Warum sollten sie sprechen, die Farmer kennen ihren Weg. Niko wankt jetzt weniger, in mir keimt Hoffnung. Wir durchqueren Gemüsefelder, Bananenplantagen, erreichen kleine Dörfer. Vor ärmlichen Holzhütten winken Frauen in traditionellen Wickelröcken.
Die Dorfjugend jagt einem frisierten Moped ohne Motorverkleidung hinterher. Schnatternde Enten glotzen stumpf, wollen nicht weichen. An einem Tempel biegen wir ab, befahren einen engen Pfad aus gestampfter Erde entlang des Flusses. In der halbhohen vertrockneten Vegetation zirpen Grillen. Ein Froschehepaar zankt unablässig in einem Tümpel.
Das Eco-Hotel ist keine Herberge für jedermann
Unsere Radtour endet bei einer Ansammlung von hellen kubischen Gebäudeteilen. Die Kuben ruhen auf Stelzen. Darunter im brackigen Wasser kämpfen Pflanzenteile verzweifelt gegen das Ertrinken. Über einen Holzsteg erreichen wir ein offenes Restaurant und besetzen zwei gepolsterte Korbsessel. Aus dem ausliegenden Prospekt erfahren wir: „Das Eco-Hotel ist keine Herberge für jedermann.“ Die Preise sind auch nicht für jeden. Fünf bis zehntausend Baht kostet eine Nacht in diesem Ecoparadies, der Preis für ein 5-Sterne Hotel in der City.
Dafür bekommt der Gast: trees, plants, exotic lizards, birds, fireflies, cicada…and you may have to share the pool with friendly insects. Selbstverständlich gibt es Außenduschen, und manche der Kuben beherbergen ihre Betten auf dem eigenen Dach, sonst könnte das Hotel nicht als Tree House firmieren. Und: From our farm to your table… a vegan menu is always available. Das Hotel scheint von Ostermarschierern und Verwandten im Geiste gut belegt zu sein.
Happiness is looking in the mirror and liking what you see
Niko hält es nicht in ihrem Korbsessel. So nehmen wir unsere Getränke in die Hand und begeben uns auf eine Sightseeing-Tour. Eine steile Treppe führt zu den Kuben. An den Hauswänden glänzen kleine Spiegel in der schwächelnden Sonne. Niko ruft mir etwas zu. Sie deutet auf einen der Spiegel. Ich schaue hinein, erschrocken springt mir mein rot angelaufenes Gesicht entgegen. Jetzt erst merke ich den Grund für ihr Ansinnen: Happiness is looking in the mirror and liking what you see. Auch die anderen Spiegel zieren erhabene Sinnsprüche. Über eine Leiter erklimmen wir das Dach eines unbewohnten Zimmers. Die Wände bestehen vollständig aus Glas. Was mag die ECO-Klimaanlage über dieses Baumaterial denken?
Wir legen uns auf harte Metall-Liegen und genießen den Ausblick auf den Chao Phraya. Eine in die Jahre gekommene Raffinerie winkt uns von dem gegenüberliegenden Flussufer begeistert zu. Halb beladene Containerschiffe beschippern den Fluss der Könige. Die tiefstehende Sonne tauchte die verrosteten Kähne in feinstes Siena-Ocker.
„Warum übernachten die Touristen nicht in einem Nationalpark, wenn sie die Natur genießen möchten?“, fragt Niko. „Weil es für sie ein besonderes Erlebnis ist, in einer Großstadt wie Bangkok von unberührter Natur umgeben zu sein.“ Niko schüttelt den Kopf. Zum Glück fragt sie nicht weiter. Ich habe keine Lust ihr den modernen europäischen Zeitgeist zu erklären: die Sehnsucht der Menschen nach einfachen, im Einklang mit der Natur stehenden ökologisch korrekten Lebensweisen.
Wir besteigen wieder unsere ökologisch korrekten Zweiräder. Unterwegs passieren wir den Phuegnang Homestay. In einem tropischen Garten gähnen leerstehende Holzbungalows, ausgestattet mit Aircon, Fernseher, Kühlschrank und Warmwassererhitzer zu einem Preis von 1.000 Baht. „Warum kommen die Touristen nicht hierher, wenn sie in der Natur sein möchten?“ „Weil dies kein Eco-Hotel ist und es keine Sinnsprüche auf Spiegeln gibt.“ Niko verstand wirklich nichts.
Wenigstens findet sie mit intuitiver Sicherheit immer die richtige Abzweigung. Durch die Abendstunde hallen Zikadenschreie, dämmriges Licht bescheint unsere Gesichter. Wir müssen uns beeilen. Der Verleiher ist nicht mehr da, erweist Vertrauen. Kommt noch ein Boot? Das dunkelgraue Wasser des Chao Phraya schmatzt um die Pfosten des wankenden Piers. Kinder lungern auf den Holzplanken, schlendern ihre spindeldürren Beine über dem Wasser. Drüben auf der anderen Seite liegt das Ziel ihrer Sehnsucht, unerreichbar fern und doch so nah; dann wenigstens warten, beobachten, wer da kommt und was geschehen mag.
Ein Mädchen im engen Rock, stark parfümiert und hübsch, wartet auf das Boot, behält das Ufer fest im Blick. Wenn sie dort drüben ankommt, wird sie nur als das Mädchen im engen Rock erkannt werden, und keine Spur verrät ihre Herkunft aus den Hütten von Bang Kra Jao.
Das wacklige Longtail legt an. Der Bootsmann mahnt zur Eile, sein abendlicher Sanuk wartet. Rotberauscht spiegelt das schweifende Gewässer in der untergehenden Abendsonne. Die wuchtigen Schiffsleiber an den Ketten der Hafenmauer zerfließen in Pastellfarben, lauschen der schwächer werdenden Flussmelodie aus tuckern, hämmern und pfeifen.
(Dieser Text stammt aus dem Roman „Stille Tage in Bangkok“ von Steve Casal)
INFO: Anfahrt: BTS Phrong Phong, mit dem Taxi zum Khlong Toey Nok Pier. Das Pier kann man von der Sukhumvit auch zu Fuss erreichen, am besten über die Soi 22 oder 24. Am Pier auf der anderen Seite des Flusses lassen sich Fahrräder für etwa 100 Baht pro Tag ausleihen, eine kopierte Karte inklusive. Beim letzten Besuch verlangte der Verleiher einen Ausweis. Es genügte der Personalausweis, vielleicht genügt auch die Kopie des Passes.
(Die Karte enthält lediglich eine Übersicht von Bang Kra Jao, die eingezeichnete Tour entspricht nicht dem obigen Text)
Wir haben diesen Ausflug auch auf eigene Faust gemacht. Es ist wirklich nicht notwendig, eine teure Radtour zu buchen. Am Pier stehen genügend Fahrräder zur Verfügung und können ohne Kaution für 100 Baht ausgeliehen werden. Ein tolles Erlebnis, fast mitten in der Stadt in einem Dschungel zu radeln.
Den kleinen Floating Market gibt es tatsächlich. Ist aber nur an den Wochenenden in Betrieb. Das mit dem Eco-Hotel fanden auch wir lustig, sind hier auch vorbeigekommen.