Ein literarisches Stimmungsbild aus Bangkok in seinen unruhigen Tagen des Jahren 2014. Das was dem Militärputsch vorausging. Und auch eine westliche Managerin kam etwas mehr in Bangkok an, was für Frauen nicht immer ganz einfach ist.

Westliche Medien behalten den Überblick

Die Opposition machte ihre Drohung wahr und besetzte zentrale Bereiche der Innenstadt. Jeden Tag finden jetzt Demonstrationen statt. Neben den allgemeinen Umzügen, veranstalten einzelne Berufsgruppen eigene Aufmärsche: Beamte, Ärzte, Professoren, Musiker, und auch die Müllschlucker marschieren.

Bei den Unruhen in Bangkok sind Menschen ums Leben gekommen, deshalb sollten Touristen die Zentren der Innenstadt meiden, empfehlen deutsche Online-Medien. Die Unruhen, das sind angeheuerte Killer, die auf Oppositionsführer schießen, Handgranaten werfen, Kinder töten.

Und die ausländischen Medien behalten auch sonst den Überblick: Kampf der konservativen Eliten und der Bangkoker Mittelschicht gegen die demokratisch gewählte Regierung. Seit Tagen empfehlen die deutsche und die amerikanische Botschaft ihren Bürgern, dass sie Vorräte aus Reis und Nudeln anlegen sollen und ihre Wohnungen oder Hotels am besten nicht verlassen. Da ich nicht weiß, wie ich Reis und Nudeln in einer Mikrowelle sinnvoll zubereiten könnte, nehme ich das Risiko eines Hungertodes bewusst in Kauf.

Ein Hollywood-Endzeitszenario entlang der Sukhumvit

Dort, wo jede Nacht endlose Ströme von Fahrzeugen wie träges Blut die Sukhumvit beschleichen, quillt Dunkelheit. Todesmutig begehe ich die Sukhumvit und tauche in einen endzeitlichen Hollywoodfilm: Durch die Straßen schreitet die Angst, spärliches Neonlicht rinnt über die Gehwege, an funktionslosen Ampeln steht rotes Licht. Die wenigen Wagemutigen beschleichen wie Morituri den verlassenen Asphalt. Es sind meistens Farangs. Sie recken die Hälse, haben den Kopf ständig am Kreisen und einen Charles Bronson Blick im Gesicht. Nicht, dass die Thais weniger todesmutig wären, aber auch jetzt behalten sie ihre Angewohnheit, für mehr als 100 Meter ein Taxi zu bemühen.

Im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung patrouillieren grimmige Männer in schwarzen Uniformen. Sie regeln den Verkehr, bewachen die Absperrungen aus Fahrzeugen und aufgetürmten Reifen, zeigen Präsenz. Es sind die Security Leute der Opposition. Pick-ups mit Demonstranten auf der Ladefläche preschen vorbei. Der indische Schneider im engen Anzug harrt ergeben vor seinem Laden. Sein Gebiss zuckt lautlos in rhythmischen Abständen: „Welcome Sööör, come in, your suit…“

Gleich winkt der Regisseur die Szene ab. Die Herren in Braun überließen die Straße der Filmcrew. Am Benjasiri Park bewachen sie das Militär in einem improvisierten Unterstand oder umgekehrt? Das Gewaltmonopol kauert einträchtig nebeneinander und bearbeitet Handys. Die Polizei jederzeit bereit, gegen die Demonstranten vorzugehen, das Militär jederzeit bereit, die Demonstranten vor Übergriffen der Polizei zu schützen.

Eine Zeltstadt für die Bangkoker Mittelschicht

Die große Kreuzung an der Asok gebar eine Zeltstadt. Demonstranten halten Nachtwache. Stramm ausgerichtete Kuppelzelte salutieren in Reih und Glied. Der Oberst vom Dienst verlieh jedem Zeltsoldaten eine Erkennungsmarke. Die schon in die Jahre gekommenen Kombattanten, Männer und Frauen, tragen einfache Waffenröcke. Die Werber der Opposition rekrutierten die Nachtschicht in entlegenen Provinzen auf Reisfeldern. Der Sold ist karg, für die Farmer jedoch ein willkommenes Zubrot. Was wird ihr Guru Thaksin zu der Fahnenflucht sagen?

Die bäuerliche Bangkoker Mittelschicht lugt fasziniert und erschrocken zugleich in den engen Durchgang zur benachbarten Soi Cowboy, der schamlosen Hure Babylon. Die Protestanten kommen aus kleinen Provinzdörfern, und jetzt geben sie in einem politischen Schachspiel die Bauern, in einem Spiel, das sie nicht verstehen. An einer Straßenecke murrt ein Toilettenwagen, auch die Verdauung braucht ihre Ordnung. Straßenküchen verkaufen Speisen an die Tagesdemonstranten und versorgen kostenlos die Nachtwache.

Von einer riesigen Bühne schießen flammende Reden gegen die Regierung, wie in einem Stadion auf große Leinwände projiziert. Visualisierung ist modern. Die Menschen vor der Bühne applaudieren, skandieren im Stakkato immer die gleichen Sätze. Eine laute Band übernimmt, hält die Menschen bei Laune, the Show must go on.

Zwei Mädchen lächeln mich nieder. Sie binden eine Trikolore um mein Handgelenk und stechen einen runden Sticker mit der Aufschrift Shutdown Bangkok knapp an meinem Herz vorbei. Die Farben der Trikolore folgen der thailändischen Flagge: Rot für die Nation, Weiß für die Religion, Blau für die Monarchie. Die gelbe Farbe ihrer T-Shirts hört auf das Königshaus. König Bhumipol erblickte an einem gelben Montag das Tageslicht. Wie gern hätte ich die beiden Trikolorinnen auf einen Drink eingeladen. Sie sprechen jedoch kaum Englisch. Meine Kenntnisse des siamesischen Idioms reichen nicht aus, um gleich zwei Mädchen bei Laune zu halten.

Jazz im Sheraton Grand

Ich verlasse das politische Volksfest. Mein Ziel ist das Hotel Sheraton Grand. Es beherbergt eine New Yorker Jazz Diva mit dem wohlklingenden Namen Pucci Amanda Jhones. Die 5-Sterne Hotels der Stadt kommen als eigenständige Biotope daher. Der Mann von Welt diniert mit seiner Auserwählten aus dem Discoclub in einem der exklusiven Hotelrestaurants. Die Rooftop-Bar bittet zum Digestiv und den Champagner serviert ein Page in seiner Suite. Die Dame von Welt polieren geschickte Hände in den Wellnessbereichen auf Hochglanz. Indische Schneider nehmen Maß und die Dependancen der Botoxkliniken bitten zum Stelldichein.

Im Living Room des Sheratons frieren nur wenige Gäste. Hellblaue Clubsofas und runde Tische versprühen das Flair der Sechziger. Amanda, eine große, hagere Frau im engen Kleid, auf jung gestylt, verarbeitet die Jazztöne der dunkelhäutigen Band. Ihre rauchige Stimme füllt den Raum. „Hey guy, do you want to offend me, I am a black American and not an African“, nahm mir ein Afroamerikaner einmal übel, den ich politisch korrekt bezeichnete.

Lässig wie Humphrey Bogart setze ich mich an die Bar. Statt einer Zigarette lasse ich einen Singapore Sling in meinen Mundwinkeln kreisen. Das ist ein Fehler. Die Zigarette und der Jack Daniels hätten mich eher vor dem Erfrierungstod bewahren können. Alle Luxushotels in Bangkok kämpfen in dieser Disziplin gnadenlos um den ersten Preis. Amanda schmettert, der Rauch ihrer dunklen Stimme beglückt das Trommelfell. Mit gerundetem Blick umgarnt sie die wenigen Gäste. Jeder individuelle Applaus erfreut sie wie ein kleines Mädchen bei der ersten Barbiepuppe. Die 400 Baht für den singapurischen Cocktail waren eine lohnende Investition.

Einsam in Bangkok

Zwei Plätze neben mir erscheint wie Deus ex Machina eine europäisch aussehende Dame unbestimmten jungen Alters. Enger schwarzer Rock und helle Bluse, ein Déjà-vu: Michael Douglas, angetörnt von Catherine, reißt der Polizeipsychologin Beth begierig den engen Rock hoch und praktiziert mit ihr ungestüm Buum-Buum, wie Thais diese archaische Tätigkeit nennen. Warum haben Männer einen solchen Basic Instinct? Und warum denken sie bei einem engen schwarzen Rock nicht an die klug daher plaudernde Journalistin aus dem sonntäglichen Presseclub?

Feministinnen wissen die Antwort und kreischen sie sofort heraus: Es ist der Körper, der Körper, nicht der Kopf, an was der Mann interessiert ist. Deprimiert halte ich die scharfe Klinge vor meinen Unterleib. Wenn das so ist, bin ich mental kein Mann. Vom finalen Entmannungsschnitt rettet mich im letzten Augenblick mein männliches Stammhirn. Es sorgte bereits in der Steinzeit dafür, dass die steinzeitlichen Männer, als sie von der Jagd heimkamen, nicht erst den Tagesablauf ihrer Frauen ausdiskutierten. Deshalb gibt es heute Nachfahren, die Pucci Amanda Jhones an einer unterkühlten Bar belauschen können.

Wir unterhalten uns. Es ist kein Gespräch. Die Worte quirlen aus ihr heraus wie aus einer Gestrandeten, die wie Robinson Crusoe nach vielen einsamen Jahren von einer Insel gerettet wird. Irgendwie strandete sie in dieser glitzernden und lärmenden Stadt. Verschollen, aus dem Tritt geraten, lebt sie in Tagträumen, in denen Paris, London und New York vorkommen. Sie heißt Nathalie und arbeitet das zweite Jahr als Managerin von L’Oréal Thailand. Ihre früheren Kollegen beneiden sie um diesen Job in einer Stadt, in der Schönheit und Luxus das Lebenselixier mixen.

„Mit wem soll ich denn hier ausgehen? Meine thailändischen Kollegen sind nur am Essen interessiert, verbringen die Freizeit im eigenen Freundeskreis. Nach einem 10-Stundentag habe ich keine Lust, mir das Lamentieren gelangweilter Ehefrauen von Expats anzuhören. Und meine westlichen Kollegen haben wie alle in Bangkok lebenden Männer nur ihre Thaimädchen im Kopf oder versuchen mich in die Rotlichtviertel zu schleppen. Mein Freund arbeitet in der Londoner City als Investmentbanker. Soll ich ihn ermuntern, einen Job in Bangkok zu finden? Alle Ehen und Beziehungen gehen hier doch kaputt. Kein Mann wird den Verlockungen widerstehen, alle werden mit der Zeit fremdgehen.“

Natalie hat recht. Die meisten westlichen Beziehungen zerbrechen in Bangkok. Das mächtige Wort Fremdgehen wiegt in dieser Stadt weniger. Beruht eine Beziehung aber nicht auf wichtigeren Aspekten als der sexuellen Treue? Dieses ritualisierte Überbleibsel der christlichen Sozialmoral dient gut dem Broterwerb von Psychiatern, Anwälten und Drehbuchautoren. Das mag der Grund sein, warum es so selten hinterfragt wird.

Amanda behaucht wieder das Mikrofon. Mir geht das Rotlichtviertel nicht aus dem Kopf. Bisher entdeckte ich in Bangkok noch keines. Nathalie schaut mich erstaunt an. „Gleich um die Ecke gibt es doch zwei.“ Ich erkläre ihr, was red light district bedeutet. Das sind in Hamburg die Reeperbahn und in London einige Bezirke von Soho. Damit haben die berühmte Soi Cowboy, Nana Plaza und auch die notorische Patpong nur wenig gemein. „Und außerdem gibt es dort die beste Livemusik in Bangkok. Sogar Familien mit Kindern spazieren durch die Soi Cowboy.“

Gegen Mitternacht verscheidet Amanda und ihrer Band. Nathalie stimmt meinem Vorschlag zu. Wie verlasen das Sheraton; endlich auf der Straße, auftauen, Lebensenergie saugen, den Schweiß spüren. Die Kreuzung an der Asok bebt. Jugendliche belagern die Bühne, peitschen die Band zu immer neuen Höchstleistungen auf. Die demonstrierende Bangkoker Mittelschicht schlummert bereits in ihren stramm ausgerichteten Zelten und träumt von tanzenden Reispflanzen. Jetzt blicken die schwarz gekleideten Security Männer freundlicher, erklären geduldig den Motorradtaxis, wie sie die aufgetürmten Absperrungen umfahren können.

Eine Managerin kommt etwas mehr in Bangkok an

Nathalie hievt ihren Körper auf den hohen Hocker, und ich habe wieder Michael Douglas und seine sexy Psychologin vor Augen. Wir sitzen straßenseitig vor dem Country Road. Drinnen spielt eine Band aus Thais und Farangs. Es kamen weniger Besucher in die Soi Cowboy als sonst. Einige Touristen erhörten wohl die Empfehlungen ihrer Botschaften. Und die Expats bewachen in ihren verbarrikadierten Residenzen ihre Reis- und Nudelvorräte.

Nathalie beobachtet neugierig die benachbarten Gogo-Bars. Mädchen in knappen, engen Outfits locken vorbeigehende Farangs, Männer und Frauen gleichermaßen. Ein Schild übertreibt: We have more girls inside than you can handle, das andere scherzt: We have plenty of beautiful girls, but also some ugly ones.

Plötzlich springt Nathalie von ihrem Hocker und stürmt auf den Eingang des Country Road zu. Sie umarmt eine junge Frau in einem roten Kostüm. Daneben strahlen weitere Damen in roten Kostümen und mehrere Herren in blauen Uniformen. Einige Herren zogen ihr Hemd aus, das Jackett schmückt den bloßen Oberkörper. Nathalie ruft mich herbei. „Das ist Bess, meine beste Freundin aus London. Sie ist Stewardess bei Virgin Airline.“ Wir folgen der Crew in das Country Road. Die Herren bestellen Drinks. Rot kostümierten Damen tanzen; allein, miteinander oder zerren männliche Gäste von den Barhockern. Uniformierten Herren tanzen mit den Bedienungen, lachen, scherzen und bestellen Ladydrinks um die Wette. Die Barmädchen fühlen Geburtstag. Auch Nathalie lässt sich mitreißen.

Eine Stewardess mit Pferdegesicht, bisher unscheinbar und still, stürmt die Bühne, erobert das Mikrofon. Zwei Virgins sekundieren. Die Pferdedame entlässt die Furie, wird zum Orkan, beherrscht das Publikum. Angelockt von dem Spektakel strömen weitere Gäste und Getränkerunden. Die Rotlichthölle brodelt, und Nathalie ist glücklich. Ich bringe sie später zum Taxi, sie verabschiedet mich mit einem rauchig schmeckenden Kuss. Verträumt schaue ich ihr nach, wie sie in das Taxi gleitet, der enge schwarze Rock nach oben verrutscht. Nathalie ist heute etwas mehr in dieser Stadt angekommen…“

(Der Text stammt aus dem Roman „Stille Tage in Bangkok“)

 

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