Meine Fitnessübungen im benachbarten Marvel Hotel unterbrach die Renovierung. Das Thermometer erreicht immer öfters die 40 Grad Marke. Jeder Schritt zum kostenpflichtigen Fitnesscenter in den Windsor Suits verursacht körperliche Qualen. Gedankenleer trotte ich die Soi 20 entlang. Ein harter Wasserstrahl trifft mich mitten ins Gesicht. Dabei sah die Soi so friedvoll aus, fast menschenleer. Nur wenige Thais saßen an der Suppenküche, was mich dazu verleitete, die lauernde Gefahr zu übersehen.

Das Schulmädchen hinter dem Baum lädt ihre riesige Water-Gun sofort nach. Jeder Widerstand wäre zwecklos, würde zu einem Gesichtsverlust führen. Stoisch dem Schicksal ergeben gehe ich weiter. Diesmal trifft mich der Wasserstrahl am Rücken. Ich bin nicht der einzige Leidtragende, der bewässert in der Hotellobby ankommt. Ein älteres Ehepaar steht triefend und verzweifelt vor der Rezeption. Bei ihnen kamen wohl ganze Wassereimer zum Einsatz.

Songkran in BangkokSongkran ist das traditionelle thailändische Neujahrsfest. Es dient der rituellen Reinigung und Erneuerung. Symbolisch benetzen die Menschen einander mit Jasmin-Blüten versetztem Wasser. Wegen der sündigen Lebensweise der modernen Thais und erst recht der Farangs musste die Reinigungswirkung intensiviert werden. Inzwischen kommen riesige Water-Guns, Wassereimer und sogar die Wasserschläuche der Feuerwehr zum Einsatz. Gedopt mit berauschenden Getränken und dem Schlachtruf Sawat-dii pi mai reinigen Thais und Touristen einander in erbitterten rituellen Wasserschlachten. Krankenhäuser und Leichensammler fahren Hochbetrieb.

Jetzt muss ich mich entscheiden, Täter oder Opfer. An der nächsten Ecke erwerbe ich die größte verfügbare Water-Gun. Ohne ausreichende logistische Unterstützung ist eine solche Waffe wirkungslos. Deshalb errichteten die praktischen Thais mehrere Kampfstände entlang der Sukhumvit. Dort speisen die rituellen Kämpfer ihre unersättlichen Waffen mit Wasser aus Hydranten.

Songkran in BangkokFür meine hohe Reinigungsquote verliehen mir die thailändischen Kombattanten den Ehrentitel Sniper. Im Gegensatz zu meinen Mitkämpfern, die das Wasser wild umher spritzen, gehe ich systematisch und höchst fokussiert vor, überlasse nichts dem Zufall. Zunächst wähle ich den Sünder sorgfältig aus. Ziele sind grundsätzlich Farangs, die bisher noch niemand rituell erneuerte. Ältere indische und arabische Herrschaften schließe ich aus rassistischen Motiven von der Reinigung aus.

Meine Strategie ist simpel, aber höchst wirksam. Zunächst fixiere ich das Ziel, blicke entschlossen in das angstverzerrte Gesicht des Touristen und behandle den Sünder im geeigneten Augenblick mit einem gezielten Wasserstrahl, idealerweise zwischen Haaransatz und Kragen. Manche Farangs lamentieren laut, verweisen auf ihr neues Hemd und Kleidung. Diese Information beflügelt besonders weibliche Thais, ihnen sofort einen vollen Wassereimer über den Kopf zu gießen.

Vor dem Kampfstand erblicke ich ein deutsches Ehepaar mittleren Alters. Sie beraten intensiv, wie sie das Wasserhindernis auf dem Gehweg am besten umgehen könnten. Der Mann stürzt sich todesmutig in den Verkehr und schafft es tatsächlich, auf der anderen Seite des Kampfstands lebend aufzutauchen. Jetzt ist seine verlassene Gattin dran. Ängstlich und verzweifelt trippelt sie von einem Bein auf das andere wie ein Fußballspieler vor dem Elfmeterpunkt.

Songkran in in der SukhumvitJetzt erst wird dem todesmutigen Gatten sein kardinaler Fehler bewusst. Er muss zurück und möchte die Verkehrsgötter nicht nochmals herausfordern. Deshalb greift er zu einem urgermanischen Trick, mit dem bereits die Teutonen auf ihren Wagenburgen die römischen Legionäre zur schieren Verzweiflung trieben. Er läuft auf einen Wasserbottich zu, den eine mutige Amazone bedient, und zeigt nach oben. Als der Blick der unerfahrenen Kämpferin dem ausgestreckten Arm folgt, läuft der Teutone grinsend an ihr vorbei.

Auf diesen Augenblick wartete ich bereits. Bevor er seine zitternde Gattin in die Arme schließen kann, trifft ihn mein Schuss zielgenau zwischen Haaransatz und Kragen. Die destruktive Kraft meines finalen Nachschusses verursacht auf seinem Hemd einen fatalen Schaden. Wieder ein Glücklicher der gereinigt und erneuert seinen Weg fortsetzen kann.

Nachdem ich auf die gleiche Weise etwa dreißig Farangs erfolgreich behandelt habe und ein junger Araber mich ernsthaft verprügeln wollte, erlahmt mein Jagdtrieb. Ich entschließe mich zu einem geordneten Rückzug in die Soi 22. Dort tobt bereits der apokalyptische Endkampf. Die rituellen Reiniger verwandelten die gesamte Straße in ein unübersichtliches Schlachtfeld.

Motorradfahren zu SongkranMenschen auf den Gehwegen beschießen Menschen in den Bars mit Wasser. Aus den Bars wird zurückgegossen. Pick-ups mit großen Wassertanks patrouillieren durch die Soi. Wasser prasselt herab, und das ist schlimm. Das Nass ist eiskalt. Dazwischen zirkeln die notorischen Motorradtaxis mit ihren Kunden und großem Buddha-Vertrauen. Auch sie bleiben von den Wasserduschen nicht verschont.

Vor den Massage-Salons hocken die Mädchen neben Wasserbottichen. Sie bespritzen alles und jeden, dazu beschmieren sie die Gesichter ihrer Opfer mit weißem Puder. Die Benetzten und Bepuderten wandeln wie Zombies umher. Seit Wochen verspreche ich jedem Massagegirl, dass ich am nächsten Tag ihre Dienste bestimmt in Anspruch nehmen werde: phrung nii, dii kwaa wan nii, morgen ist besser als heute, lautet das wörtliche Versprechen. Jetzt zahlt sich diese geniale Strategie aus. Vor ihren Shops stapeln die Mädchen Snacks, Bier und Whiskey, was sie mehr als gern mit ihrem künftigen Kunden teilen. Erst im Bett wird mir bewusst, dass mein Karma leiden wird, wenn ich die Mädchen enttäusche.

(Der Textauszug stammt aus dem Roman „Stille Tage in Bangkok“ von Steve Casal)

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