Über das Denken der Thais und unsere westliche Brille. Wer die lebens-kulturellen Besonderheiten Thailands kennt, vermeidet unangenehme Situation. Er findet einen schnelleren Zugang zu den Menschen. Und kann auch etwas für sein eigenes Leben lernen.
Auf dieser Plattform haben wir uns mehrfach mit den einzelnen Aspekten der kulturellen Besonderheiten Thailands befasst: über thailändische Frauen, das Zusammenleben zwischen Farangs und Thais, dem Buddhismus und Lebenskultur, das Prinzip der „Gesichtswahrung“, welches einen ignoranten Ausländer schnell in die buddhistische Hölle verfrachten kann, sowie mit dem SANUK, dem Lebensprinzip der Thais.
Dieser Beitrag behandelt das thailändisches Denken, die Klammer zu den kulturellen Phänomenen. Und befasst sich mit der „westlichen Brille“, die den Zugang zur thailändischen Lebenskultur erschwert.
Die westliche Brille ablegen
Die Diskussionen in den Foren zeigen, dass einige Besucher des Landes einzelne Aspekte der kulturellen Besonderheiten nicht verstehen. Dabei scheint ihnen deren Inhalt weitgehend klar zu sein. An was liegt das?
Sie betrachten die sozial-kulturellen Aspekte mit ihrer westlichen Brille. Diese westliche Brille hat zwei Ebenen, die miteinander untrennbar verbunden sind. Die eine betrifft unseren kulturellen Hintergründ, die anderen den Denkvorgang.
Das Übertragen von westlichen Werten auf die thailändische Kultur erschwert das Verstehen
Das westliche Denken folgt der westlichen Logik (beruhend auf der aristotelischen Logik) und dem christlichen Wertekanon in seiner durch die Renaissance und neuzeitliche Aufklärung ausgeformten Gestalt.
Wenn wir unsere Werte auf Thailand übertragen, kommt es oft zu folgenden Aussagen: „was wir anders machen, haben die Thais auch so zu machen“… oder, „was die Thais tun, ist nicht richtig, führt zu…“.
Ein typisches Beispiel ist ein Kommentar zum Thema Gesichtsverlust: „der Gesichtsverlust basiert auf einer Kultur, die nicht mehr zeitgemäß ist“; das ist eine Bewertung aus westlicher Sicht. Die Gegenfrage würde lauten: „wer bestimmt, was zeitgemäß ist“?
In Asien und Thailand beherrscht das Denken und Fühlen ein anderer kultureller Hintergrund. Die philosophischen, logischen und religiösen Konzepte unterscheiden sich teilweise wesentlich von den westlichen.
Kein Konzept ist dem anderen überlegen. Und das schon deshalb nicht, weil sie auf unterschiedliche Aspekte der menschlichen Existenz einwirken. Wertendes Vergleichen zwischen den beiden Konzepten behindern das Verstehen der thailändischen Lebenskultur.
Thailändische Denkprozesse unterscheiden sich von den westlichen
Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die zu einer Erkenntnis führen. Bewusst wird uns dabei meist nur das Ergebnis des Denkens, nicht die jedoch der Denkprozess selbst.
Aber auch beim Denkprozess gibt es zwischen Thais und Westlern erhebliche Unterschiede. Wir benutzen für einen Bezeichnung meistens nur einen Begriff.
Die thailändischen Sprache kennt oft mehrere. Allein für den Begriff ICH gibt es mehr als zehn Ausdrücke, die von besonderen Situationen abhängen. Dies gilt auch für andere Begriffe.
Oft werden insbesondere abstrakten Begriffe anders als im Westen definiert. Zum Beispiel das Wort LIEBE in einer Beziehung wird im westlichen Verständnis eher als ein emotionales Ereignis begriffen, während in Thailand eher als ein materieller Vorgang im Sinne „für jemanden sorgen“.
Auch der logische Prozess, der die Begriffe verknüpft, unterscheidet sich von der westlichen Logik. Für das thailändische logische Konzept ist es nicht ungewöhnlich, dass eine Aussage gleichzeitig als „richtig“ und „falsch“ bezeichnet werden kann. Das ist in der westlichen Logik nicht möglich.
Hinterfragen des eigenen Denkens erleichtert den Zugang zum thailändischen Denken
Wem es gelingt, die westliche Brille abzulegen, wird sein „Reiseleben“ in Thailand und Asien einfacher gestalten und Missverständnisse vermeiden. Aber wie soll das gelingen, wenn wir die eigene Brille, unser westliches Denken, mit demselben westlichen Denken hinterfragen?
Versuchen wir es anders: wenn wir manche Aspekte des westlichen und thailändischen Denkens gegenüberstellen, könnten uns bestimmte Stereotypen des eigenes Denkens bewusster werden. Das könnte dann den Zugang zum thailändische Denken erleichtern. Zur Einstimmung zunächst ein kurzer Auszug aus dem Roman „Stille Tage in Bangkok“.
Eine Nacht auf dem Wat Arun
Gegen zwei Uhr morgens erreicht mich Pams Line-Message: „Hast du schon den Sonnenaufgang am Wat Arun erlebt, du findest mich in einer Stunde auf einer Bank am Pier, bringe zwei Flaschen Weißwein mit“. Ich gewöhnte mich bereits daran, dass sie mich immer spät abends einbestellt. Niemals fragt sie, und wenn der Satz eine Frage enthält, kling er wie ein Imperativ.
Und warum sollte ich nicht kommen. Sogar zur späten Stunde findet sie immer ein offenes Restaurant, oder wir bestaunen tief in den Eingeweiden der Chinatown ein Panoptikum aus chinesischer Kleinkunst.
Oft plaudern wir die ganze Nacht, nie wird es uns langweilig. Und es ist mir auch angenehm, mit ihr zu schweigen, es ist, als verstünde sich unser Schweigen.
Jedes Mal dringe ich tiefer in die praktische chinesische Gedankenwelt und sie in das weniger praktische europäische Denken. Und morgens, unser verschlafenes Frühstück, keine Hast. Und zuvor, ihr biegsamer Körper, jede Variante sorgfältig gewählt, immer anders, immer neu, immer von ihr bestimmt.
Pam plant ihr Leben. Es ist eine strikte Planung, die keine Veränderungen zulässt. Sie weiß immer genau, was sie will und was nicht. Und sie hat immer ein altes chinesisches Sprichwort parat wie: „Man muss gegen den Strom schwimmen, um an die Quelle zu gelangen.“ Pam würde gut zu John passen. Sein Lebensmotto war immer: good Food, a good Talk, a good Fuck.
Bereits Pam beim Essen zu beobachten ist inspirierend. Sie wählt die Speisen sorgfältig aus, genießt jeden Bissen, in einem luxuriösen Restaurant genauso wie an einer gewöhnlichen Straßenküche. Es ist ihre Art das Essen zu genießen, gezielt und bewusst, als reine Sinnlichkeit wie die alte taoistische Liebeskunst.
I like or I don´t like…
Zunächst stellte ich mir die Frage nach dem Warum, warum sie, warum ich? Inzwischen stelle ich mir diese Frage nicht mehr. Nur Europäer können über solche Fragen nachdenken. Wir saugen das Warum bereits mit der Muttermilch auf, wollen immer genau wissen, warum dieses oder jenes geschieht, warum die Welt so ist, wie sie ist, und welche Rolle wir darin zu spielen haben.
Für Pam ist die Welt einfacher, sie weiß nur I like or I don´t like. Das Warum interessiert sie nicht.
Im Getränkeregal des 7/11 freuen sich die zwei letzten Flaschen südafrikanischen Weißweins über meine Absicht. Die müde Verkäuferin füllt Eiswürfel in eine große Plastiktüte und hilft mir, die zwei Flaschen hinein zu wuchten; war es mein Charme oder ihre Vergesslichkeit?
Zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens darf ein 7/11 kein Alkohol verkaufen, verkündet das große Schild über dem Regal. Jetzt fehlen nur noch zwei Gläser aus meinem Zimmer und ein Taxi. Diesmal verzichtet der Fahrer auf lange Verhandlungen über den Festpreis ob der späten Stunde.
Der Pier schwankt verlassen und düster. Am Tag stürmen tausende Menschen die verwaschenen Planken. Pam sitzt neben einem Anlegereifen und schaut verträumt auf den Fluss. „Komm, wir gehen hoch, ich habe einen Mönch bestochen.“ An einer entlegenen Seite des Tempels gibt eine knarrende Eisentür nach. Der bedürfnislose Mönch hielt Wort.
„Weißt du, warum König Taksin diesen Tempel nach Aruna, dem Wagenlenker des Sonnengotts Surya, benannte? Es war der einzige Ort in Thonburi, der das Morgenlicht auffing.
Jetzt sitzen WIR hier und werden uns mit Wein berauschen, die Nachtluft trinken und warten, bis die Nacht mit den ersten Morgenstreifen zusammenfällt.“ Ich wusste gar nicht, dass Pam mit ihren pragmatischen chinesischen Genen so poetisch sein kann.
Wir besteigen die steilen Treppenstufen des zentralen Prangs. Dämonisch blickende Yakshas werfen uns böse Schatten zu.
Sie sind es nicht gewohnt, zur so späten Stunde noch Besucher zu empfangen. Die himmlischen Devantas bestaunen uns freundlicher, erwarten wohl eine kleine Weinspende für ihren Herrn Aruna.
Das schale Mondlicht schläft im offenen Schoß der Wassergöttin Phra Mae Khongkha. Kein Schiffsgeräusch stört diesen Schlaf. Eine göttliche Stille umhüllt den Tempel. Ich höre nur meinen Herzschlag und ab und zu den von Pam, spüre, wie unser Blut den gleichen Takt hält, als tanzte es zusammen.
Der Große Palast leuchtet in der Ferne und lässt auch Wat Po an seiner königlichen Herrlichkeit teilhaben.
Wie die indischen Götter auf dem heiligen Berg Meru schauen wir hinunter auf diese surreale Stadt. Bald schleichen vom Horizont die ersten diffusen Lichtnebel in die Häuserfluchten.
Der Sonnenaufgang ist nicht mehr fern. Die letzten Nachtschwärmer begegnen den ersten Tagerwachten. Mit göttlicher Hand knipst Surya die Beleuchtung des Tempels aus, bald folgt der Große Palast.
I would just live…
„Wenn du reich wärst, genügend Geld hättest, wie möchtest du leben“, frage ich Pam. Sie schaut mich an, wiederholt die Frage ganz langsam, als ob sie nicht verstehen würde. „I would just live.“
Was für eine monströse Idee, einfach nur zu leben. Ich bin noch nicht reif für solche Gedanken. Pam berührt meinen Arm. „Träumst du manchmal? Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort: Wenn man schläft, kann man Träume nicht leben, wenn man aufwacht, schlafen die Träume ein.“
Beim Abschied ahne ich die Antwort auf das Warum. Ohne zu denken, schaue ich lange dem Taxi nach, in dem Pam wie ein Schatten entschwand.
In die Stille dringen die ersten morgendlichen Geräusche. Das Licht wächst an, der Tag erhebt die Stimme, immer der gleiche ewige Tag, immer das gleiche unverlierbare Licht.
Zwei Mönche schaben vorbei, schleifen das Klappern der Essschalen hinter sich her. Bald können die Gebenden ihr Karma verbessern.
Wie konnte jemand nur auf die Idee kommen, die Vermittler der buddhistischen Lehren als Bettelmönche zu bezeichnen? Was für ein grundlegendes Missverständnis der buddhistischen Religion.
Da, durch die silberne Luft schweben zwei Mädchen, riechen nach Leben, Rock, Bluse, der dünne Stoff wellt verräterisch. Der junge Mönch dreht den Kopf, die Augen auf dem Sprung, um die Blicke einzufangen. Die Mädchen lassen sich nicht lange bitten. Hier sind die Mönche Bejaher des Lebens, nicht Gaukler des Todes und Lehrer des Jenseits.
(Ein Auszug aus dem Roman „Stille Tage in Bangkok oder die erträgliche Leichtigkeit des Seins“, von Steve Casal)
Thais fragen nicht nach dem Warum
Westliche Menschen interessiert immer das WARUM, suchen nach GRÜNDEN, warum etwas geschieht, beziehen STELLUNG, alles muss eindeutig sein.
Wenn etwas unklar erscheint, dann fühlen wir uns nicht wohl. Und welche Nation in Europa ist hier am konsequentesten? Raten Sie mal. Die Frage nach dem Warum saugen wir bereits mit der Muttermilch auf, die Schule besorgt den Rest.
„Ich mag es oder ich mag es nicht“
Thais wissen, ob sie etwas möge oder nicht. Das Warum interessiert sie nicht. Erscheint etwa in einem sozialen Medium ein Foto von einem sich ungebührlich verhaltenden Farang, dann ist auch hier die Aufregung groß.
Ärger und Zorn bahnen sich ihren Weg. Aber es wird keine Diskussion stattfinden, was wohl der Anlass war, und stundenlanges „Nachtreten“ und Schimpfen kommt ebenfalls nur sollten vor.
Fragt man einen Thai nach den Gründen für sein Handeln oder seiner Meinung zu einem bestimmten Ereignis, dann können wir zwei Reaktionen erwarten. Er wird zornig, da er sich nicht begründend festlegen möchte.
Das hat auch etwas mit dem Prinzip der Gesichtswahrung zu tun. Oder er sagt einfach „es ist eben so“, „ich mag es oder ich mag es nicht“. Er wird selbstverständlich Stellung beziehen, aber nur Stellung. Eine Diskussion über die Gründe ist ihm oft unangenehm.
Das intellektuelle Vergnügen beim gemeinsamen Dinner mit einer thailändischen Dame beschränkt sich meistens aufs Essen, Shopping-Malls oder die praktischen Dinge des Lebens. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber die sind eher selten.
Diese pragmatische Lebensart der Thais mag für einige Westler durchaus erfrischend sein. Manche sind bereits von dem ständigen „Ausdiskutieren“ und „Hinterfragen“ von allem und jedem müde.
„Why are you farang speakins so much“
Welcher Expat hat diesen Satz noch nicht gehört? Wir sind es gewohnt, alles zu erklären und zu kommentieren. Und das nicht nur einmal, sonder aus allen möglichen Blickwinkeln. Dann fragen wir noch dreimal nach, ob unser Gegenüber verstanden hat.
Thais verlieren über viele Dinge nicht so viel Worte, erfassen intuitiv, sind um Welten empathischer als wir. Und auch für mich ist es immer wieder überraschend, dass eine fremde Person meine Stimmung erkennt, ohne dass ich ihr den geringsten Anhalt geliefert habe.
Westliches Denken verteidigt die eigenen Wahrheiten und Werte
Im Mittelalter sind Menschen für die eigene Wahrheit sogar auf dem Scheiterhaufen gelandet. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Im Shitstorm der digitalen Scheiterhaufen landet jeder, der eine vom Mainstream abweichende Meinung vertritt oder aber auch umgekehrt.
Die meisten von uns verteidigen ständig ihre Weltbilder. Fühlen sich von jedem persönlich angegriffen, der ein anderes Weltbild, einen bestimmten Lebensstil oder abweichende Moral vertritt …Trump ist gut, Trump ist schlecht…FC Bayern oder Borussia Dortmund…Deshalb auch die oft beleidigenden Diskussionen in den Foren.
Schön zu beobachten etwa bei Berichten über „Aussteiger“ oder „digitale Nomaden“. Kaum ein anderes Thema ruft solch aggressive Kommentare hervor. Warum, weil sich die „ordentlichen“ Bürger, die einer geordneten Arbeit nachgehen, so sehr um diese Personengruppe interessieren?
Nein, allein durch den abweichenden Lebensstil des Aussteigers fühlen sich die „Normalen“ in dem eigenen Lebensentwurf angegriffen. Durch den Gegenangriff versuchen sie ihren eigenen Lebensstil (vor sich selbst) zu verteidigen.
Toleranz erleichtert eine fremde Kultur zu verstehen
Treffen Menschen auf das Verhalten einer fremden Kultur, dann kommt es oft zu folgenden Reaktionen: sie „analysieren“ das Verhalten der anderen auf der Grundlage des eigenen Wertekanons und dann kommt sofort das Urteil z.B.: „aber diese ganze Gesichtsverlust Sache hat auch einfach damit zu tun, dass Thais nicht kritikfähig sind“. Kritikfähigkeit wird als „fester Wert“ definiert, und wer nicht in dieses Rastert passt, der wird kritisiert.
Aber da es weder absolute Wahrheiten noch Werte gibt (diese sind kulturell bedingt), verhindert eine solche Einstellung die fremde Kultur zu verstehen. Mit mehr Toleranz und weiniger Beharren auf den eigenen Werten und Wahrheiten kämen wir nicht nur in Thailand weiter.
Was können wir von den Thais lernen?
Und was können die Thais von uns lernen? Vieles. Und wir von den Thais: den Pragmatismus des täglichen Lebens, ohne Kopfgeburten; die Lebensfreude und Leichtigkeit des Seins, die keine Gründe braucht, also etwas mehr Sanuk in unserem Leben.
Ein hervorragender Bericht, ganz von der Art wie ich ihn liebe. Man merkt gleich, das Du versuchst auf die Thailändische Seele einzugehen. Für mich ist es immer schwer das warum abzulegen und noch mehr verzweifele ich am „up to you“. Wir sollten uns bemühen uns die Denkweise der Thais anzueignen. Sonst wird es für uns, wenn wir dort leben wollen oder wenn wir eine Beziehung zu einer Thailänderin eingehen sehr, sehr schwer!